Virostatika und Long COVID
Könnten Virostatika bei der Prophylaxe oder Behandlung von Long COVID eine Rolle spielen?

Released: December 05, 2022

Expiration: December 04, 2023

Cristina Mussini
Cristina Mussini, MD

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Wichtigste Erkenntnisse:

  • Viele Menschen leiden an Long COVID, weswegen Anstrengungen erforderlich sind, um Prophylaxe- und Behandlungsmodalitäten zu identifizieren.
  • Größere Studien sind notwendig, die bestätigen, ob COVID-19-Virostatika bei der Prophylaxe und/oder Behandlung von Long COVID wirksam sind.

Einige Monate nach Beginn der ersten Welle der COVID-19-Pandemie begannen Gesundheitsdienstleister zu verstehen, dass die Erkrankung bei einigen Patienten/-innen nach Abklingen der akuten Phase nicht endete. Das sogenannte Long-COVID-Syndrom ist gekennzeichnet durch die Persistenz von COVID-19-Anzeichen und Symptomen mindestens 4 Wochen nach der akuten Infektion. Diese Symptome können mehrere Monate (oder sogar Jahre) anhalten und sind vom Schweregrad der Akuterkrankung unabhängig.

Eine aktuelle Metaanalyse von 63 Studien mit 257.348 COVID-19-Patienten/-innen kam zu dem Schluss, dass 20 % bis 40 % unter mindestens 1 persistierenden Symptom 3–12 Monate nach der Genesung von der akuten Phase litten. Long COVID hat erhebliche Auswirkungen auf die Lebensqualität und sollte bei Diagnose als neue Schwerbehinderung betrachtet werden.

Derzeit stehen wir vor 2 klinischen Herausforderungen: (1) Können wir die Entwicklung von Long COVID verhindern? und (2) Wie behandeln wir Long COVID?

Hypothesen für die Behandlungsziele von Long COVID
Aktuell gibt es keine spezifische Therapie für Long COVID. Um eine Therapie für Long COVID zu finden, müssen wir die Pathogenese verstehen. Es gibt mehrere pathogenetische Hypothesen. Eine davon ist die anhaltende Persistenz von SARS-CoV-2 in verschiedenen Körpergeweben nach Beendigung der akuten Infektionsphase. Die Theorie ist, dass diese Restviren die Immunantwort aufrechterhalten und ein erhöhter Anteil funktioneller Gedächtniszellen antiviral zytotoxisch aktiv ist, was von chronischer Entzündung mit erhöhten Werten für Interleukin-6, Tumornekrosefaktor und C-reaktivem Protein begleitet wird.

Diese Hypothese wird durch eine kleine Studie von Tejerina und Kollegen/-innen gestützt, die 29 Patienten/-innen mit Long COVID evaluierten, die im Median nach der akuten Phase 55 Tage lang Symptome aufwiesen. Diese Symptome waren durch Müdigkeit, Muskelschmerzen, Tachykardie, Dyspnoe und leichtes Fieber gekennzeichnet, was bei 48 % dieser Patienten/-innen zu einer reduzierten Funktionsfähigkeit führte. Die Forscher/-innen stellten fest, dass ein Realtime-Polymerase-Kettenreaktion (RT-PCR) Test auf SARS-CoV-2 im Blut bei 45 % der Patienten/-innen positiv war, wohingegen 55 % mindestens 1 positiven RT-PCR Test entweder in einer Blut-, Urin- und/oder Stuhlprobe hatten.

In Anbetracht dieser Ergebnisse könnte man vermuten, dass Moleküle mit antiviraler Aktivität entweder bei der Prophylaxe oder Behandlung von Long COVID eine Rolle spielen könnten. Unser Behandlungsinstrumentarium für die Frühphase der Erkrankung beinhaltet derzeit monoklonale Antikörper und Virostatika. Das Hauptproblem mit monoklonalen Antikörpern – die an das Spike-Protein binden – ist, dass andere besorgniserregende SARS-CoV-2-Varianten die neutralisierende Wirkung der Antikörper schwächen oder aufheben können. Im Gegensatz dazu bleiben antivirale Medikamente wie Ritonavir-geboostertes Nirmatrelvir, Remdesivir und Molnupiravir auch gegen Omikron und andere besorgniserregende Varianten wirksam.

Was wir wissen (und was wir nicht wissen)
In einer größeren Beobachtungsstudie erwies sich orales Nirmatrelvir während der Omikron-Welle als wirksam bei der Verhinderung von Krankenhausaufenthalten aufgrund von COVID-19 bei Patienten/-innen, die 65 Jahre oder älter waren. Andere Studien zu oralen antiviralen Medikamenten haben eine Verbindung zwischen der Behandlung der akuten COVID-19-Infektion und einer beschleunigten negativen RT-PCR-Umwandlung gezeigt.

Aber was ist mit Long COVID? Die Beurteilung von Long COVID war bisher bei keiner Virostatika-Studie ein Endpunkt. Wir wissen nicht, ob diese antiviralen Medikamente das Auftreten von Long COVID verhindern können, wenn sie in der Frühphase der Erkrankung verabreicht werden, oder ob sie dieses Syndrom nach der Diagnose behandeln können.

Um zu verstehen, ob Virostatika bei der Prophylaxe von Long COVID eine Rolle spielen, sind Studien mit einer großen Stichprobe und langfristiger Nachbeobachtung erforderlich. Bisher gibt es nur kleine Beobachtungsstudien zu Virostatika als Prophylaxe, z. B. die von Boglione und Kollegen/-innen, die eine Reduzierung des Auftretens von Long COVID um 36 % sechs Monate nach der Entlassung aus dem Krankenhaus bei Patienten/-innen beobachteten, die Remdesivir erhalten hatten, im Vergleich zu Patienten/-innen, die es nicht erhalten hatten. Die Situation sieht etwas anders bei der Behandlung von Long COVID aus. Selbst wenn randomisierte Studien durchgeführt werden, um die Behandlung von Long COVID mit Virostatika zu evaluieren, so sind Beobachtungsstudien doch genauso wichtig.

Eine kürzliche Fallserie von 4 Patienten/-innen, die Ritonavir-geboostertes Nirmatrelvir zu unterschiedlichen Zeitpunkten erhalten hatten, zeigte vielversprechende Ergebnisse. Zwei Patienten/-innen, die Nirmatrelvir plus Ritonavir erhalten hatten, berichteten von einer Verbesserung nach 25 bzw. 60 Tagen nach Auftreten der ersten Symptome, und eine weitere Person, die vermutlich 2 Jahre Long COVID hatte, berichtete von einer erheblichen Verbesserung der chronischen Symptome nach Einnahme von Nirmatrelvir plus Ritonavir im Anschluss an eine SARS-CoV-2 Reinfektion.

Es gibt laufende Studien zu Molnupiravir, Nirmatrelvir plus Ritonavir und Remdesivir, bei denen Daten 3–24 Monate nach Behandlung mit Virostatika gesammelt werden, um zu beurteilen, ob es eine Verbindung zwischen der Anwendung eines antiviralen Wirkstoffs bei einer akuten COVID-19-Infektion und der Reduzierung der Inzidenz von Long COVID im Anschluss daran gibt.

Long COVID ist ein wichtiges öffentliches Gesundheitsproblem, und es sollten alle Anstrengungen unternommen werden, um dagegen vorzubeugen und die Krankheit zu behandeln. Aufgrund dessen, was wir über die Pathogenese wissen, könnten antivirale Medikamente eine Rolle bei der Behandlung und Prophylaxe spielen. Zur Bestätigung dieser Hypothesen sind mehr Beweise erforderlich.

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